Berge versetzen

Der Preikestolen, eine gut 600 Meter hohe scharfkantige Felskanzel, welche atemberaubend über dem Fjordufer aufragt zieht uns heute in seinen Bann. Zahllose Wanderer nehmen den steinigen Pfad hinauf auf den „Predigtstuhl“ Jahr für Jahr in Angriff, um einen kühnen Blick hinab zu wagen. Auch wir reihen uns heute in den Strom der Verrückten mit ein.

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Dazu muss allerdings eine drei stündige Fahrt erstmal zurück gelegt werden. Meine Eltern lehnen dieses Massentourismus heute dankend ab und so machen wir uns alleine auf Richtung Stavanger.

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Schon die Fahrt ist gigantisch mit schöner Landschaft, über 12 Tunneln, zahlreichen zerklüfteten Felsen und engen kurvigen Straßen.

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Wir stellen fest, das unsere meist benutzten Wörter hier in Norwegen „gigantisch“ und zu jeder Übertreibung passend „übelst“ sind. (Übelst schön, übelst tief, übelst hoch, übelst gigantisch).

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Das Wetter beobachten wir allerdings sehr kritisch. Zunehmend beginnen die Wolken sich zuzuziehen und diesen Aufstieg bei Regen will nun wahrlich keiner passieren. Doch das Wetter hält und die Wolken scheinbar nur eine trollige Täuschung.

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Wir erreichen das Preikestolen- Basislager, von dem die Wanderung auf den ca. 4,5 km langen Trail beginnt. Der nächste richtige Schritt ist natürlich, möglichst nicht zu viele Kräfte mit unnötigen Märschen zu verbrauchen und so nahe wie möglich an den Felsen heran zu fahren. Doch dieser bleibt uns verwehrt, denn der untere Parkplatz ist voll und so heißt es auf einen entfernteren Parken.

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Wir sind dennoch guter Dinge, auch wenn 150 Kronen, umgerechnet fast 20 Euro  nicht gerade günstig für ein bisschen parken ist, aber was soll man machen? Die Strafe für Falschparken ist noch viel teurer und zu Fuß gehen verbraucht unnötig Reserven. Also wird zähneknirschend bezahlt.

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Wir sehen viele bekannte Nummernschilder und sind begeistert über „DD“,“L“ oder auch sogar „GR“. Dann wird der Rucksack geschultert, die festen Wanderschuhe geschnürt und schon sind wir marschbereit. Wir freuen uns wie Bolle darauf, gleich wie die Idioten einen Felsen hinauf zu jagen, als wären wir irgendwelche australische Berggorillas.
Muss doch mit dem Kopf zu tun haben, oder?!

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Der erste Schritt ist der schwerste! Man weiß, dass eine Hammertour vor einem liegt, aber bevor man Gelegenheit bekommt, darüber nachzudenken, folgt der zweite und dritte Schritt. Ganz schnell und einfach. Und ehe man sich versieht, hat man schon die ersten Meter geschafft. Wow, das war leicht und schwer zugleich!

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Der Grund das es schwer geht, liegt nicht etwa an mangelnder Kondition. Es liegt an der sofort knallharten Anstrengung, die fast augenblicklich nach den ersten Metern des Trails folgt.

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Ein kurzes Stück ging es noch einen feinen Schotterweg hinauf, auf einmal aber werden die Steine groß, dann übelst größer und ehe wir es uns versehen, müssen wir schon von Stein zu Stein stolpern.

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Der Weg besteht eigentlich nur aus einer Geröllhalde. Deshalb ist es unverständlich, wie diverse Personen das Vorhaben Preikestolen angehen, mit Halbschuhen, Motorraddress …! Allein der Abstieg ist nicht ohne – wir sehen mehrere Stürze.

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Etwas außer Atem erreichen wir den ersten Wegweiser und Streckensanzeiger, der uns signalisiert, dass wir die ersten 0,5 Kilometer von 3,8 Kilometer geschafft haben. Das motiviert…ähm ein wenig! Denn hier wird das ganze Ausmaß der Reise einem bewusst, wir werden Spaß haben😉

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Wie Ihr sicher schon bemerkt habt, lassen wir euch heute mal ein bisschen ausführlich an unseren Erkenntnissen teilhaben. Wem das zuviel Text ist, der kann sich auch ganz einfach nur an den Bilder erfreuen.

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Nach ein paar Schluck Wasser geht es also gleich weiter nach oben! Die Tour führt nun weiter einen recht steinigen Weg entlang. Die Steine sind hier nun etwa so groß, wie Gullideckel! Man muss ein wenig darauf achten, dass man vor lauter Aufmerksamkeit auf den nächsten Schritt nicht den eigentlichen Weg aus den Augen verliert.

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Der Weg ist nämlich zu meiner Überraschung, gar nicht so sehr ausgetreten, wie ich es erwartet habe. Besonders die Steine, die jeden Tag sicherlich tausendfach betreten werden, scheinen kaum bis keine Abnutzungsspuren davon zu tragen. Man muss schon genauer hinschauen, dass man auf einigen Steinen hin und wieder Schleifspuren entdeckt die darauf hindeuten, dass hier öfter Schuhwerk, Wanderstöcke und mehr drüber hinweg spaziert und geklettert sind.

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Apropos Wanderstöcke! Dies ist etwas, was uns schon jetzt und auch die nächsten Stunden noch ganz schwer auf die Nüsse gehen wird!
OK, wir sind nicht absoluten Speedy Gonsales,  zumindest ich nicht. Und genau, wie wenn wir mit dem Auto auf den engen Bergstraßen unterwegs sind, machen wir an den uns gegebenen Möglichkeiten Platz, um die schnelleren vorbei zu lassen. Aber die mit den Wanderstöcken sind schlimm!

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Ein Bustrup ist angekommen und Matti mitten drin.

„Klick-Klack“ und dies immer dicht hinter einem ist echt nervig. Dabei sind die mit den Stöcken nicht unbedingt schneller! Zur Erinnerung: Der Weg ist nicht geschottert oder geascht, es ist kein Wanderweg, sondern hier liegen richtig grobe große Findlinge auf dem Weg, wo man sich eben wie bei einem Mosaik nur von Stein zu Stein fortbewegen kann. Ob und wenn ja wie diese Stöcke zwischen oder gar auf den Steinen Halt bieten sollen, ist mir ein absolutes Rätsel.

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Nach dem ersten steinigen Abschnitt erreichen wir dann eine Art Hochebene. Von hier aus haben wir wieder tolle Ausblicke über die Landschaft, aber vor allem geht es zum ersten Mal ohne beschwerlichen Aufstieg weiter.

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Auch wechselt der Wanderweg nun die Herausforderung. Die Steine tauschen sich nun gegen immer länger werdende Wiesenstücke aus, die ein wenig wie ein Hochmoor auf uns wirken. Der Boden ist matschig, feucht und mit einigen Bächen und Tümpeln durchzogen. Zum Glück müssen wir nicht durch diesen Modder durch marschieren, denn es gibt hier einen Holzbohlenweg, auf dem es sich deutlich besser spazieren lässt. Sind wir auf dem Holzweg?

Wenn mal gar keine russischen Busmassen in Sicht sind, kann man sogar die Vögel zwitschern hören. „Gentleman like“  schleppt Jan den Rucksack. Er ist eh schneller und mit mehr Ergeiz unterwegs und so nenne ich es Chancengleichheit. Ich bin natürlich auch sehr froh drüber, den so bin ich doch bissel freier.

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Man merkt übrigens, dass wir nun deutlich höher unterwegs sind. Immer wieder haben wir tolle Ausblicke auf die umliegenden Berge und tiefe wohl unberührte Wälder, was mich allerdings zu der Frage führt, wo denn der Fjord ist! Immerhin liegt doch der Preikestolen direkt am Lysefjord, daher muss doch mal so langsam das Wasser auftauchen, oder?

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Tatsächlich taucht kurz darauf wirklich Wasser auf, allerdings besteht dies eher aus einigen kleinen Teichen, die hier auf der Hochebene links und rechts des Weges anzutreffen sind. Und diese Seen sind sogar als „schwimmbar“ eingestuft, ein entsprechender Hinweis auf den Infotafeln erlaubt ein kühles Bad an einem heißen Sommertag.

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Heute allerdings können wir (wie auch alle anderen) darauf verzichten, denn es ist mehr  Entengrütze als See beim „Strand“ zusehen.

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Wir lassen also die kleinen Badeseen gleichermaßen rechts und links liegen und steuern weiter den Weg, immer den roten T folgend, an.

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Die Route führt uns nun einen leicht steilen Weg hinauf. Die Steine sind nun nochmals größer geworden und sind nun so groß, dass wir auf einem Stein locker 20 und mehr Schritte gehen können, bis der nächste Stein folgt.

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Richtige tonnenschwere Brocken und Quader schmiegen sich hier in die Landschaft und an einigen Stellen sind die Steine so dominant, dass man beim Betreten eines Steinfells nicht das Ende sehen kann.

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Es gibt in Norwegen den Begriff des „Fjells“, was ich mir nun, beim Anblick dieser „Steinfjelle“ auch endlich erklären kann. Der Begriff muss für diese Steine wohl extra erfunden worden sein…

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Wir haben schon hier fast die Hälfte unserer Wasservorräte ausgetrunken, obwohl wir noch nicht einmal am Preikestolen angekommen sind! Was sollen wir nur später auf dem Rückweg trinken? Ein Supermarkt, eine Tankstelle, oder wenigstens ein Kiosk werden wir wohl kaum vorfinden.

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Das letzte Stück zieht sich natürlich auch ungemein, zumal wir auch noch immer keine freie Sicht auf den Lysefjord haben. Das lässt den Weg gleich doppelt lang erscheinen!

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Nur sehr viel weiter rauf kann es nun eigentlich nicht mehr gehen, denn rund um uns herum finden sich kaum bis keine höheren Erhebungen mehr.

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Die letzten Meter gehen wir fast wie in Trance, das Glücksgefühl ist schon unbeschreiblich!

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Wir haben es echt geschafft, wir sind endlich da!

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Noch unglaublicher ist aber, dass trotz aller Gefahren hier oben nichts abgesperrt ist und man sich problemlos bis an die Klippe und den freien Abgrund heran wagen kann.

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Bei uns in Deutschland wäre doch bestimmt ein Gitter mit einem Sicherheitsabstand von mindestens einem Meter oder wenigstens ein mannshohes Geländer mit Unterfallschutz montiert. Dazu noch ein Sicherheitsnetz unterhalb der Kanzel, was selbst die letzten Selbstmörder auch noch ausbremsen würde. Aber hier? Nix.

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Wir machen ein Päusschen am Abgrund und genießen die wunderschöne Aussicht, beobachten die anderen Verrückten bei Ihrer Fotosession und freuen uns ganz einfach über die wahnsinnige Natur.

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Jan ist mutig und läuft sogar bis direkt an die Felsvorsprünge.

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Das er die Beine über den Fels baumeln lässt ist, mir dann aber doch zuviel. Ich möchte Ihn ja gern lebend mit nach Hause nehmen und so lässt er das wenigstens bleiben.

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Da der Abstieg nicht besser wird, je länger man wartet,  machen wir uns wieder auf den Rückweg.

Locker fluffig wandern wir den Weg entlang und haben sogar wieder Kraft, unsere entgegenkommenden Aufsteiger zu mustern. Was sind da nur für Leute dabei?

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Badelatschen Ökos, ein Typ mit Gehilfen, zahlreiche Reisegruppen, die wie Irre den Weg hoch jagen, weil wahrscheinlich gleich der Bus losfährt, russische Volksschönheiten, die extra knappe Sachen für das umwerfende Bild angezogen haben, aber auch viele ältere Menschen. Ein älteres Ehepaar, welches hier den Weg ganz gelassen herauf schlendert.Die Dame mit Stiffelletten hat einen Regenschirm in der Hand, der Herr mit Sonntagsschuhen ohne Profil und eine Herrenhandtasche baumelnd am Handgelenk.

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Ganz am Schluss dann die Mit-50er mit gutem Bauchansatz, die schon jetzt das Schwitzen und Stöhnen anfangen. Oh- weia, ob die das schaffen? Dann plötzlich unterbricht das ganze Gewussel ein lautes Geräusch von Rotorblättern.

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Wir erleben die Sensation, denn genau vor unseren Augen landet ein Sanihubschrauber.

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Wir hatten die „Verletzte“ bereits beim Aufstieg hier sitzen gesehen. Sie kam aus Österreich und hatte sich mit ihrem Mann über den immer mehr anschwellenden Knöchel unterhalten, scheinbar hatten Sie sich doch für den Notarzt entschieden, ganz zu unserem Vorteil. Somit konnten wir sensationsgeil nun den Hubschrauber beobachten.

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Chinesen krochen halb in den Flieger, um Fotos zu machen. Ganz zum Leidwesen der zu Transportierenden. Diese wehrte sich wehemend „don’t picture“…mein Papa würde das Verhalten mit den Worten entschuldigen „die müssen das zu Hause doch nachbauen, da brauchen die soviele Fotos“. Beim Abflug macht das Opfer dann doch auch selbst Fotos und wir stürzen uns wieder ins Getumel.

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Schwer zu sagen, ob der Ab- oder Aufstieg anstrengender ist. Die Aussicht ist auf jeden Fall bei beiden spektakulär.

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Voller Sehnsucht erreichten wir nach gefühlt ewigen Fussmarsch unser Auto. Die Socken qualmen und die Beine freuen sich über ein bisschen Ruhe. Jetzt schnell nach Hause, obwohl schnell wie bereits hier beschrieben ja relativ ist.

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Wir fahren einen Umweg auf anraten meiner Eltern über Hauge, weil hier ein sensationelles landschaftliche Großereignis auf uns wartet. Zunächst bereuen wir die Strecke, da sie noch enger und kurviger erscheint als… . Doch die kleinen Details am Wegesrand heben unsere Stimmung.

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Und dann unausweichlich sehen wir, was meine Eltern meinten.

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Ein langer Wasserfall schlängelt sich durch das Gebirge und bricht sich immer wieder an den kleinen Felsvorsprüngen.

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Wir sind begeistert und die extra Tour hat sich wirklich gelohnt.

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Was wir nicht ahnen, das wir noch eine spannende Serpentinenstrasse, die es in sich hat, vor uns haben.

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Doch wir kommen heil an und haben jede Menge zu erzählen….

Ein Gedanke zu „Berge versetzen“

  1.  Jane sagte am

    Sehr geil! Respekt ihr habt es geschafft!!! Ich habe solche Sehnsucht nach Norwegen, nach dieser übelst gigantischen Landschaft. Danke für die tollen Fotos, als hätte ich mit euch den Preikestolen nochmal bestiegen. Und meine Wanderschuhe waren adidas Superstars.

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